Kreiszeitung/Böblinger Bote - 17.März 2001
Im Führungskreis einer Behörde, die sich überflüssig machen soll
Joachim Rücker beginnt am 7. Mai als UN-Vertreter in Sarajevo
Sindelfingen - Seit 1995 herrscht in Bosnien-Herzegowina Frieden. Doch der Wiederaufbau des vom Krieg gebeutelten Landes kommt nur mühsam voran. Sindelfingens OB Joachim Rücker will im Auftrag der UNO seine Erfahrungen dort einbringen. Am 7. Mai tritt er seinen Dienst in Sarajevo an.
VON WERNER HELD
Der Titel, den Dr. Joachim Rücker (49) künftig trägt, ist sperrig,
kein Vergleich mit der griffigen Amtsbezeichnung OB: Stellvertreter des Hohen
Vertreters der Internationalen Staatengemeinschaft. Doch daran, sagt er fast
ein bisschen entschuldigend, seien die Mächte Schuld, die 1995 in Dayton
mit den zerstrittenen Serben, Kroaten und Bosniaken das Friedensabkommen für
Bosnien-Herzegowina ausgehandelt haben. Seitdem besteht der Staat, der aus dem
zerfallenden Jugoslawien hervorgegangen ist, aus. der Bosnisch-kroatischen Föderation
und der Serbischen Republik mit jeweils eigenen politischen Strukturen. Beide
zusammen bilden die Republik Bosnien-Herzegowina, deren Hauptstadt Sarajevo
ist. Sowohl die Gesamtregierung als auch die Teilregierungen funktionieren
leidlich", sagt Rücker, fügt aber gleich hinzu, dass er sein
Wissen bislang aus einem einzigen Besuch bei seinem künftigen Chef, dem
Österreicher Wolfgang Petritsch in Sarajevo, und aus der Zeitung beziehe.
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Dass das Zusammenleben in dem jungen Staat klappt, dafür garantiert die UNO: SFOR-Truppen sichern den Frieden militärisch. Und das Büro des Hohen Vertreters (OHR) unterstützt die Entwicklung politischer und wirtschaftlicher Strukturen. Es berät die Politiker vor Ort, wie es so schön heißt. Dass das OHR auch mal durchfahren, Politiker ent- und Gesetze erlassen kann, wenn es anders nicht mehr durchkommt, verwischt diese Formulierung. 700 Mitarbeiter, hauptsächlich in Sarajevo, aber auch in anderen Städten des Landes, hat das OHR. Joachim Rücker wird einer der fünf Stellvertreter Wolfgang Petritschs und ist zuständig für das Schlüsselressort Budget und die Verwaltung. Er gehört damit zum engsten Führungskreis der UN-Behörde.
Joachim Rücker setzt darauf, dass ihm seine Auslandserfahrung, die er
vor seiner Sindelfinger Zeit im diplomatischen Dienst gesammelt hat, und seine
Erfahrung an der Spitze der Verwaltung einer
Spuren des Krieges noch überall zu sehen
Rücker war damals außenpolitischer Berater der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und wandte sich gegen den Rüffel für Genscher. Kroatien und die anderen Länder haben nur ein Recht in Anspruch genommen, das ihnen in der Verfassung Jugoslawiens garantiert war", begründet er seine Haltung.
Die Spuren des Krieges", schildert Rücker seinen ersten Eindruck aus seinem künftigen Wirkungsland, sind noch überall spürbar." Die von serbischen Granaten zerschossenen Häuserfronten erinnern noch immer an die erbitterten Kämpfe zwischen den Volksgruppen. Die Sanierung der Kriegsschäden und der Wiederaufbau des Landes kommen nur langsam voran. Die Rückführung und Wiedereingliederung der 2,8 Millionen Flüchtlinge, die Bosnien-Herzegowina während des Krieges verlassen hatten, aber funktioniere. Die Lage", sagt Rücker vorsichtig, ist relativ befriedet." Ein Restrisiko" für Leib und Leben, zieht er einen Vergleich, habe ich auch, wenn ich hier über die Straße gehe."
Doch ein Land, in dem man seinen Urlaub verbringt, ist Bosnien-Herzegowina nicht. Diese Erfahrung machte Rückers Frau Ines Kirschner, als sie vergebens nach einem Reiseführer über den Landstrich auf dem Balkan forschte. Sie wird warten müssen, bis ihr Mann ab Mai aus Sarajevo berichten kann. Denn Rückers Frau, die beiden Töchter, 16 und 14 Jahre alt, und der achtjährige Sohn bleiben in Sindelfingen. Rücker geht davon aus, dass er die Mehrzahl der Wochenenden" in Sindelfingen verbringen kann. Meine Familie", sagt er, trägt das mit, weil sie hofft, dass ich auch für sie Zeit habe, wenn ich in Sindelfingen bin. Als OB war ich immer nur schemenhaft zu Hause."
Im Übrigen ist sich Joachim Rücker im Klaren darüber, dass er nicht ewig in Bosnien-Herzegowina bleibt. "Das faszinierende an der OHR ist ja", philosophiert er, "dass es eine Behörde ist, die das Ziel hat, sich selbst überflüssig zu machen." Das kann in drei, aber auch erst in zehn Jahren der Fall sein.